Die Mission klang zu gut um wahr zu sein.

Nichts stehlen, niemand umlegen, keine Artefakte in halsbrecherischen Aktionen aus Anomalien holen.

„Leichtes Geld für leichte Arbeit“, höre ich immernoch Wolfs Worte in meinen Ohren.

So leicht verdientes Geld das wir alle unserer Warnungen in den Wind schlugen und noch vor dem Winter nach Pripyat gingen.

Wolf, unser Teamleader, hatte diesen Auftrag an Land gezogen und entwickelte schnell ein Mitgefühl mit der Witwe und ihrem kleinen Sohn. Wolf machte es zu einer persönlichen Sache die Habseligkeiten ihres Mannes und Vaters zu ihnen zurück zu bringen.

Vielleicht lag es daran weil er mittlerweile selbst Familie hatte aber nicht umsonst ist für sowas in unserer Branche eigentlich kein Platz. Denn ausgerechnet auf dieser vermeintlich einfachen Mission flogen mir jetzt die Kugeln nur so um die Ohren.

 

Ich blicke in den Raum im 2. Stock in dem wir uns gerade verschanzt haben. Draußen hat wieder leichter Schneefall eingesetzt. Notdürftig verbindet Wolf seine eigene Schulter, die vor wenigen Minuten von einem der um uns sirrenden Projektile durchschlagen wurde. Es war nur eine von vielen Kugeln die sich Wolf bereits eingefangen hatte, trotzdem erkenne ich den Schmerz in seinem Gesicht.

Breacher, unser Sanitäter, liegt regungslos vor dem Gebäude im Dreck. Das große Kaliber des feindlichen Heckenschützen hat ein faustgroßes Loch in seiner Brust hinterlassen.

Karloff und ich hocken jeweils an einem Fenster des Gebäudes und versuchen mit Feuersalven die Monolither auf der anderen Seite der Häuserschlucht in Schach zu halten.

„Woher wussten die das wir hier lang kommen würden?“, schreit mir Karloff zu.

„Woher soll ich das wissen?“, schreie ich zu ihm zurück.

Einer der Monolither streckt seinen Kopf aus der Deckung. Instinktiv hebe ich den Lauf meines HK33 über den Fenstersims, lege das Fadenkreuz meiner Zieloptik auf sein Gesicht und verwandele es mit dem Krümmen meines Zeigefingers in eine rote Nebelwolke.

„Einer weniger, nur noch 50 übrig“, schreit Karloff sarkastisch zu Wolf.

„Dann schießt weiter, ihr Idioten!“, schreit er zu uns zurück, während er immer noch an seiner Schulter rumpopelt und sich, etwas unbeholfen, eine Morphiumspritze gegen die Schmerzen verabreicht.

Durch den Kugelhagel sprinte ich geduckt zu ihm.

„Wie gehts der Schulter?“, frage ich ihn.

„War schonmal besser. Wo ist Yuri?“

„Ich habe ihn nicht gesehen seit die das Feuer auf uns eröffnet haben. Denkst du er hat sich wo anders verschanzt?“

„Nein, ich kann für ihn nur hoffen das er schon draufgegangen ist“, schimpft Wolf.

Ich schaue ihn etwas verwirrt an.

„Yuri war der einzige, ausgenommen von mir selbst, der unsere Route schon vorher kannte. Es ist kein Zufall das die Monolither uns hier aufgelauert haben, der Penner hat uns verkauft“, flucht er mit zusammengepressten Zähnen.

 

Die Zeit war knapp, der Winter hatte schon begonnen und wir wollten uns beeilen um die Aufträge abzuschließen bevor der Winter die Zone komplett in Kälte, Eis und Schnee hüllt.

Wir hatten gerade erst die Yupiter Anlage passiert, auf den Straßen lagen bereits wenige Zentimeter Schnee und wir waren nur ein paar hundert Meter tiefer nach Pripyat gegangen als plötzlich ein Schuss fiel und Breacher fünf Meter nach hinten geschleudert wurde. Nur Sekundenbruchteile später wird aus allen Rohren auf uns geschossen, die meisten feindlichen Schützen hatten sich im Wohnblock verschanzt und beschossen uns aus ihrer Deckung, einige standen auf den Dächern. Wie Mörsergranaten schlugen die Kugeln des Scharfschützen um uns herum ein. Ich eilte zu Breacher, dessen Augen starr und weit aufgerissen waren. Seine Schusswunde war so groß das man hätte durch ihn hindurch greifen können. Wolf gab uns Feuerschutz so das wir Zuflucht im gegenüberliegenden Block suchen konnten. Offenbar zog er sich dabei auch seine verletzte Schulter zu.

 

Plötzlich verstummt das gegnerische Sperrfeuer. Ungewöhnlich für Monolither.

„Kommt raus und schließt euch dem Monolithen an, er wird euch erleuchten“, schreit jemand von der Straße zu uns herauf. Es ist Yuris Stimme.

Er ist also wirklich zu den Monolithern übergelaufen.

„Soll ich den Wichser abknallen?“, fragt Karloff am Fenster.

„Nein, das mache ich persönlich“, hält Wolf ihn zurück.

Wir gehen nach unten.

„Legt eure Waffen ab und kommt raus!“, fordert Yuri.

„Lass mich mit ihm reden“, bitte ich Wolf, der Schwierigkeiten hat sich auf den Beinen zu halten. Offenbar war die Morphiumspritze etwas zu hoch dosiert.

Mit einem leichten Kopfnicken stimmt er mir zu. Das glaube ich zumindest, vielleicht schwankt er auch nur.

„Gebt mir Feuerschutz“, sage ich beiläufig zu Wolf und Karloff während ich meine Waffe ablege.

Argwöhnisch beäuge ich jedes Fenster auf der anderen Seite aus dem ein Gewehrlauf ragt. Mit Yuris AK in seinen Händen zähle ich über ein Dutzend. Ich atme tief ein, dann trete ich unbewaffnet nach draußen. Entgegen meiner Erwartungen eröffnet keiner das Feuer auf mich.

„Was soll der Scheiß?“, schreie ich Yuri entgegen, der seine Waffe direkt auf mich richtet.

„Wo ist Wolf? Ist er zu feige und schickt dich vor?“ fragt er hämisch.

„So ähnlich“, antworte ich genervt, „was hat das hier zu bedeuten?“

„Ich bin ein Kind des Monolithen“, schreit Yuri lächelnd und stolz während er seine Hände in den Himmel streckt, „Seit wir am Reaktor waren spüre ich seine Präsenz, als läge seine Hand unablässig auf meiner Schulter.“

„Klingt nach nem ziemlichen Perversling“, verhöhne ich ihn.

„Lach nur Antonov, auch du wirst seine Macht schon bald spüren! Niemand kann sich ihm widersetzen.“

Skeptisch drehe ich mich zu meinen Kameraden um, die aufgeregt versuchen alle gegnerischen Schützen im Blick zu halten. Beiläufig stecke ich meine Hände in die Hosentasche.

„Lasst Euch erleuchten und schließt euch der großen Sache des Monolithen an!“, predigt Yuri.

Ungläubig höre ich ihm weiter zu während meine Augen immer wieder über die Fenster der Gebäude huschen.

„Der Monolith wird alle eure Wünsche erfüllen. Ihr müsstet nie wieder schuften. Ihr könntet im Reichtum baden ohne dafür blutend in irgendeinem Schlammloch liegen zu müssen“, predigt Yuri weiter.

„Das klingt tatsächlich ziemlich verlockend“, versuche ich Zeit zu schinden. Meine Hand in der Hosentasche umgreift fest den Gegenstand der sich darin befindet.

„Stellt euch nur vor, wenn wir die Lehre des Monolithen verbreiten wird er all das Elend und Leid auf der Welt beenden. Die Zone würde aufblühen, ein Zentrum globaler Macht von dem aus unser Monolith den Menschen Wohlstand und Frieden schenkt. Und wir werden an seiner Seite stehen.“

Yuri redet sich regelrecht in einen Wahn, so das er nicht bemerkt wie ich mich ihm langsam nähere.

„Seine Stimme in meinem Kopf, sie ist vollkommen klar und deutlich!“, schleudert er mir voller Überzeugung entgegen.

 

Wir alle hörten diese Stimme in unseren Köpfen als wir vor ein paar Wochen am Kraftwerk waren. Auch hier in Pripyat drang sie gelegentlich wieder in unseren Schädel. Yuri war das jüngste Mitglied unserer Truppe und wir anderen dienten schon lang genug in der Zone und hatten gelernt mit den besonderen Gefahren dieser unnatürlichen Umgebung zu leben. Wir waren erfahren genug um dieser Stimme und ihren Versprechungen zu widerstehen. Doch das galt offensichtlich nicht für Yuri.

 

„Er spricht zu mir. Er ist der Wunschgönner! Er wird uns alle erlösen!“, schreit er fanatisch über den gesamten Platz. Aus den Fenstern tönt lautes, unverständliches Gebrüll der anderen Monolither.

In Yuris Augen und Stimme liegt dabei absolute Ernsthaftigkeit. Ich nutze den kurzen Moment der Unruhe um weiter auf Yuri zuzugehen.

Irgendwie tut mir der Junge leid. Vielleicht hätten wir ihn nicht zum Kraftwerk mitnehmen sollen.

Yuris gläserner Blick richtet sich wieder auf mich.

„Schließt euch uns freiwillig an, dann habt ihr weniger Schmerzen. Wir werden euch dem Monolithen zuführen, auf die eine oder die andere Weise“, droht Yuri schließlich.

„Oder wir euch!“, murmele ich ihm entgegen.

Seine kurze Verwirrung über diese Aussage nutze ich, hole mit der Faust aus und schlage Yuri mit dem Korpus der Handgranate aus meiner Hosentasche gegen den Unterkiefer. Krachend zerberstet sein Kieferknochen und seine blutigen Zähne fliegen meterweit klimpernd über den schneebedeckten Asphalt. Mit dem Fuß trete ich ihm das Gewehr aus der Hand.

Hinter mir eröffnen Karloff und Wolf das Feuer auf die restlichen Monolither in den Fenstern, was mir noch ein paar Sekunden verschafft.

Meine andere Faust fliegt in Yuris Bauch, er krümmt sich vor Schmerz und spuckt Blut auf meine Stiefel. Ich ziehe den Splint der Handgranate und stecke sie in den Kragen seines Pullovers.

„Ein kleines Geschenk für dich und deinen Monolithen.“

Mit einem beherzten Tritt in den Magen stoße ich ihn zu Boden und hechte gleichzeitig in Deckung hinter einen Haufen Geröll.

Panisch und jammernd vor Angst fummelt unser einstiger Kamerad an seinem Pullover, versucht die Granate wieder herauszuholen, doch schon einen Augenblick später verwandelt sich Yuris Oberkörper mit einem lauten Knall in eine rote Fontäne und vereint sich mit der Umgebung.

 

Durch den aufgewirbelten Staub und Pulverschnee der Explosion schaffen es meine verbliebenen Kameraden zu mir aufzuschließen. Karloff wirft mir meinen treuen Maschinenkarabiner zu und ich schieße aus dem Staub heraus auf jede Silhouette die auch nur annähernd menschlich erscheint.

Entlang der Hauswände versuchen wir uns zurück zu ziehen, während um uns herum die Kugeln einschlagen. Die Projektile des Scharfschützengewehrs schlagen wieder wie Granaten in den Beton und Asphalt.

Wir schaffen es wenige Wohnblocks weiter, während unsere Verfolger sich ebenfalls in Bewegung setzen und einander wirre Kommandos zurufen. Manche von ihnen schreien Positionsangaben und andere scheinen lauthals religiöse Zitate von sich zu geben.

Die Einschläge kommen immer näher.

Plötzlich durchzieht ein stechender Schmerz meine Wade und in diesem Moment sacke ich auch schon in mir zusammen. Ich falle in das Geröll vor einer halb eingestürzten Ruine.

 

Karloff eilt zurück zu mir und zieht mich in die Deckung der Ruine während Wolf mit seinem Colt 1911 verzweifelt versucht uns Feuerschutz zu geben. Sein Gewehr hat er offensichtlich zurückgelassen, wahrscheinlich da er es mit seiner kaputten Schulter ohnehin nicht mehr bedienen kann.

Karloffs Anomaliedetektor beginnt wie verrückt zu piepen. Erschrocken schaut er auf das Gerät.

„Was zum Teufel!?“, frage ich.

„Hier ist eine Anomalie“, schreit Karloff lauthals, so das es auch Wolf hört der einige Meter von uns entfernt ist. Das Gewehrfeuer scheint abzunehmen.

„Durch das Gebäude“, schreit er und sprintet los um die letzte intakte Tür der eingestürzten Haushälfte zu öffnen. Sofort stoppt er und schaut erschrocken zu uns zurück.

„Das ist ne Teleport Anomalie, wir müssen drum herum“, schreit er zu uns.

Ich begutachte meinen Unterschenkel, nur um festzustellen das ich blute wie ein Schwein. Offenbar wurde eine Arterie getroffen.

Während ich mich auf Karloff stütze versuche ich aufzustehen, was mir mehr schlecht als Recht gelingt. Denn schon beim dritten Schritt sacke ich wieder zusammen.

„So eine verdammte Scheiße“, fluche ich lauthals. Der Schneefall hat zugenommen, die Sicht verschlechtert sich. So sind wir wenigstens vor dem Scharfschützen in Sicherheit, doch schon bald würden die Monolither uns anhand der Fuß- und Blutspuren im Schnee finden.

Karloff verschanzt sich hinter einer Wand und gibt immer wieder kurze Feuerstöße aus der Deckung heraus ab um unsere Verfolger auf Distanz zu halten.

„Wir müssen ihn hierlassen, er kann kaum laufen. Mit ihm haben wir keine Chance zu entkommen“, schreit er zu Wolf.

„Wir lassen niemanden zurück!“

„Bei allem Respekt, wenn wir nicht abhauen ist nicht nur er in wenigen Minuten bei der heiligen Monobraue, oder wie auch immer der heißt, sondern auch wir“

„Ich liege hier neben euch, ich kann euch hören“, werfe ich in das Gespräch ein.

„Dir ist aber auch nicht geholfen wenn wir hier mit dir krepieren, Antonov“, argumentiert Karloff weiter.

Ich kann es ihm nicht übel nehmen, er hat Recht. Aber krepieren möchte ich auch nicht. Während ich versuche meine Schmerzen zu unterdrücken und eine Lösung überlege streiten Karloff und Wolf weiter.

Zwischen den Häusern sind immer wieder vereinzelte Silhouetten zu erkennen, die von Deckung zu Deckung huschen und beginnen uns einzukesseln. In wenigen Minuten werden wir komplett umzingelt sein.

„Schafft mich zu der Anomalie rüber“, sage ich schließlich. Beide verstummen und schauen mich entgeistert an.

„Na los, macht schon“, drängele ich.

„Wir gehen nicht durch Teleports, keiner weiß wo sie hinführen und ob man überhaupt wieder rauskommt“, sagt Karloff ehrfürchtig.

„Die Gefahren einer Teleport Anomalie sind mir bekannt. Ich habe keine andere Wahl. Ihr müsst hier verschwinden und ich kann kaum laufen. Wenn ihr mich tragt haben die uns in wenigen Minuten eingeholt. Wenn ihr mich hierlasst machen diese Schweinepriester Gott weiß was mit mir. Also los, schmeißt mich in die verdammte Anomalie bevor ich es mir anders überlege!“

Beide schauen sich an, wohlwissend das es keine andere Möglichkeit gibt.

„Karloff, du bist der einzige der uns noch vernünftig Feuerschutz geben kann. Ich schaffe Antonov zur Anomalie, danach verschwinden wir“, beschließt Wolf.

Ich stütze mich auf seine unverletzte Schulter. Mehr humpelnd als laufend kreuzen wir noch einmal die Feuerlinie während Karloff eine Salve nach der anderen aus seiner AKM abfeuert.

Stöhnend und fluchend erreichen wir schließlich die Tür hinter der sich die Anomalie befindet. Wolf reißt die Tür auf und ich starre wie gebannt auf das wabernde, helle Licht der Anomalie.

„Wir werden die Monolither ablenken damit sie dir nicht in die Anomalie folgen. Wenn du durch bist suche dir trotzdem eine gute Kampfstellung. Bei diesen Spinnern kann man nie wissen. Wir treffen uns dann in Levkoys Bar.

Viel Glück, Antonov. Es war mir stets eine Ehre.“

Wolf drückt mir meine Waffe und ein Medikit in die Hand. Mit einem leichten Stoß von ihm falle ich rückwärts in die Anomalie und er schließt die Tür.






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